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Forschung der Mittelmeer-Plattform

Der Mittelmeerraum wurde lange mit mediterranistischen Zauberformeln beschrieben. Aktuelle Krisen und Konflikte erfordern es, ihn neu zu erzählen. Die Konstanzer Mittelmeer-Plattform verbindet geschichts- und literaturwissenschaftliche Ansätze, um das kulturelle Erbe und die historischen Prägungen der Region zu verstehen und den Blick für Zukunftsoptionen zu schärfen. In diesem Sinne rückt sie die Pluralität mediterraner Raumordnungen ins Zentrum. In genealogischer Perspektive rekonstruiert sie zum einen marginalisierte (arabische, insulare, meridionale, osmanische) Repräsentationen der Region. Anhand gegenwartsbezogener Themen erforscht sie zum anderen epochenübergreifend, wie sich naturgegebene, gestaltete und imaginierte Räume sowie Bezüge auf vergangene und künftige Zeiten wechselseitig beeinflussten. Drittens erhellen vergleichende und verflechtungshistorische Perspektiven, wie der Mittelmeerraum mit anderen Weltregionen interagierte und verglichen werden kann.

Forschungsprojekte

 

al-Gharb

Al-Gharb. Begriffsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung eines kulturalistischen Konzepts des Westens in der arabisch-islamischen Sphäre (16.-19. Jh.)
(Gerda-Henkel-Projekt, Leitung: Daniel G. König, Laufzeit 2018-2021)

Das Konzept des „Westens“ ist in Europa und Nordamerika weit verbreitet und manifestiert sich in zahlreichen Veröffentlichungen, in denen es – z. B. mit dem Bezug auf „westliche Werte“, „westliche“ Demokratievorstellungen etc. – häufig zu einer Abgrenzung von anderen Kulturräumen, insbesondere der islamischen Welt kommt. Gleichzeitig wird das Konzept des „Westens“ auch aus einer Außenperspektive bedient, nicht zuletzt in okzidentalistischen Diskursen, die z. B. von radikal-islamischen Gruppen, aber auch von anderen Akteuren geführt werden.

Ziel des Projektes ist es, Bilder des Westens in der arabisch-islamischen Sphäre systematisch aufzuarbeiten. Dabei geht es nicht nur darum, auf deren Vielfalt hinzuweisen und damit differenzierend in öffentliche und wissenschaftliche Debatten einzugreifen. Ziel ist es auch, den Ursprüngen kulturalistischer Wahrnehmungen des Westens nachzugehen. Die Forschung verlegt die Entstehung und Verbreitung eines kulturalistischen Konzeptes des Westens in das spätere 19. Jahrhundert, in dem islamische Gesellschaften mit den kolonialen Projekten europäischer Mächte konfrontiert und damit gezwungen wurden, sich mit den Charakteristika der von diesen Mächten vertretenen Gesellschaften auseinanderzusetzen. Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass ein Konzept „westlicher Kultur“ schon früher kursierte, existiert bisher keine Untersuchung, die gezielt danach fragt, wann und wie sich diese neue Konzeptualisierung gegenüber früheren Alternativen durchsetzte.

Vor diesem Hintergrund widmet sich das Projekt der Frage, wann, warum und über welche Kanäle ein Konzept des Westens Einzug in Diskurse islamisch geprägter Gesellschaften hielt. Im Rahmen einer begriffsgeschichtlichen Untersuchung insbesondere arabischer Texte des 16. bis 20. Jahrhunderts soll untersucht werden, in welchen Kontexten die arabischen Begriffe „al-ġarb“ („der Westen“), „al-ġarbiyyūn“ („Westler“) und „ġarbī“ („westlich“) als kulturelle Sammelbegriffe auftauchen und ältere Konzeptionen Europas (z. B. „Land der Franken“ –„bilād al-Ifranǧ“) und auch Amerikas (z. B. „Westliches Indien“ – „al-Hind al-ġarbī“) komplementieren oder gar ablösen. Die Suche nach einer Art terminologischem „Wendepunkt“ ist also mit der Frage verbunden, in welchen Milieus und zu welchem Zweck diese kulturellen Sammelbegriffe verwendet wurden und in welchem qualitativen und quantitativen Verhältnis sie zu alternativen, etwa nationalen Kategorisierungen der „westlichen Welt“ stehen. Dabei gilt es zu eruieren, ob das Auftauchen dieser Sammelbegriffe eher als Resultat gemachter Erfahrungen mit westlichen Gesellschaften zu sehen ist, oder aber in Zusammenhang mit der Übersetzung und Rezeption europäischer Schriften und darin vertretener Kulturkonzepte steht, die sowohl für den Maġrib als auch den Mašriq des 19. Jahrhunderts nachweisbar sind.

Website der Gerda Henkel Stiftung

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Habilitationsprojekt von Dr. Fernando Esposito

Während der Industriemoderne war die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen eine konstitutive temporale Ordnungsvorstellung westlicher Gesellschaften. Sie bildet den Gegenstand der transnational ausgerichteten Untersuchung. Der Topos der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen diente dazu, sich selbst sowie fremde Gesellschaften in der Geschichte zu verorten, und machte den dynamischen Wandel als Fortschritt fassbar. Wenngleich erst Pinder (1926) und Bloch (1935) den Topos ausdrücklich formulierten, gründete er auf einem Ungleichzeitigkeitsdenken, das in etwa ab den 1860er Jahren in der Ethnologie/Anthropologie verwissenschaftlicht wurde. Im Raum verteilte Völker, ihre sozialen, ökonomischen, politischen und religiösen Institutionen wurden verzeitlicht und in ein evolutionistisches Kulturstufenmodell eingeordnet. Fortan galten sie etwa als fortschrittlich und zivilisiert oder aber als rückständig, barbarisch oder primitiv. Auf der Basis des Ungleichzeitigkeitsdenkens und der temporalen Taxonomie, die aus ihm folgte, bildete sich eine für die Industriemoderne paradigmatische chronopolitische Praxis heraus: Mittels Zivilisierung, Entwicklung oder Modernisierung sollte Ungleichzeitigkeit beseitigt und Fortschritt herbeigeführt werden. Das erkenntnisleitende Interesse ist von der Frage nach dem semantischen Wandel der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen bestimmt. Zugleich untersucht das Projekt die praktische Implementierung des Ungleichzeitigkeitsdenkens. Um den semantischen Wandel zu verdeutlichen, richtet das Vorhaben seine Aufmerksamkeit auf zwei paradigmatische Formationen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, welche die Anthropologie hervorgebrachte: eine klassische, die sich ab etwa 1860 herauskristallisierte, und eine neuere, alternative Formation. Die Untersuchung nimmt zudem einen mustergültigen Anwendungsfall des klassischen Ungleichzeitigkeitsdenkens in den Blick, nämlich die zur Jahrhundertwende forcierte Entwicklung des italienischen Südens. Anhand des von der UNESCO geführten Kampfes gegen den Rassismus zeigt sie zudem die Divergenz auf, die nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen den dort versammelten Theoretikern der Ungleichzeitigkeit und den chronopolitischen Praktikern bestand. Fußte die Modernisierung des globalen Südens auf der klassischen Formation der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, so stellten die Anthropologen das zugrundeliegende Fortschrittskonzept in Frage. Sie setzten die synchrone Vielfalt soziokultureller Zeiten an die Stelle der diachronen Dissonanz und brachten eine neue Formation der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen hervor, dessen Strukturen das Vorhaben verdeutlicht. Ziel des Projekts ist es, einen grundsätzlichen Beitrag zur Zeiten-Geschichte der Industriemoderne zu liefern. Der Mehrwert des Projekts gründet darüber hinaus in dem Versuch, die Frageperspektive der Chronopolitik in der Geschichtswissenschaft zu etablieren und zu einer Systematisierung von Pluritemporalität beizutragen.

Global Fascist Networks

Projekt von Prof. Dr. Sven Reichardt

This project takes the three empires of the Axis – Fascist Italy, Imperial Japan, and the German Third Reich – in order to examine their interconnections from a global perspective, both from centre to centre and through their imperial peripheries. By focussing on networks of what we call ‘fascist brokers’, we explore the specificity – and originality – of the multipolar connectivity between the centres and peripheries of these imperial structures as they came to challenge a global order dominated by the western imperial powers.

This relational perspective towards fascism will lead to a new conceptual framework, decentring the core countries of fascism and the concepts of ‘Europeanness’ that dominate conventional comparative approaches. The global networks associated with the imperial expansion of fascism include the institutions and micro powers involved in circulation, condensation and implementation that constitute the asymmetrical power relations among the actors. Rather than assuming that the borderland exchanges in the Near and Middle East, eastern Europe or Asian and Pacific regions were imposed from the fascist centres, GloFaNet will focus on borderlands as laboratories for indigenous innovations, creative adaptations and multidirectional flows between periphery and centre. We will analyse the imperial interconnectivity, the fluidity of the processes by which fascist imperial regimes connected with one another and engaged their regional peripheries from the end of World War I to 1945.

For the first time, we are taking the borderlands as meaningful units for geopolitical connectivity with the fascist core empires. This innovative project is dedicated to studying the heretofore scarcely researched patterns of influence and resistence, pressures, challenges and rivalries, competition, selective borrowings, misreadings and wishful thinking in a multipolar web of interactions and socio-political brokerage between fascist centres and peripheries.

Interkulturelle Interaktionsprozesse und ihre Akteure im westlichen Mittelmeerraum.

Interkulturelle Interaktionsprozesse und ihre Akteure im westlichen Mittelmeerraum.
Sizilien unter normannischer Herrschaft (1061–1194) und das Königreich València (1238–1276) im Vergleich

Habilitationsprojekt von Dr. Eric Böhme

Süditalien sowie die Iberische Halbinsel stellen zwei besonders interessante Kontakträume im westlichen Mittelmeerraum dar, in denen Muslime, Juden und Christen über viele Jahrhunderte in permanenten, sowohl von friedlichem Miteinander als auch von Gewalt geprägten Austauschprozessen miteinander standen. Um die Interaktion und Kommunikation zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen aufnehmen und effektiv durchführen zu können, bedienten sich alle Beteiligten für gewöhnlich Vermittlergruppen, die über die Fähigkeit verfügen mussten, eine Einigung zwischen den Parteien zu schaffen. Durch die Verbindung und Anwendung unterschiedlicher sprachlicher und kultureller Kompetenzen vermochten es diese „Grenzgänger“, eine Vielzahl verschiedener Rollen in diesen Kommunikations-, Interaktions- und Aushandlungsprozessen einzunehmen.

Dieses Phänomen soll im Rahmen meines Habilitationsprojektes exemplarisch in zwei miteinander zu vergleichenden Fallstudien, zu Sizilien und zur Iberischen Levante, untersucht werden. In beiden Untersuchungsräumen werden jeweils Phasen bedeutender Umbrüche in den Blick genommen, die durch den Herrschaftswechsel von islamischer zu christlicher Oberherrschaft konstituiert wurden. Die neuen Herrschaftsstrukturen konnten nur über permanente Kommunikations-, Interaktions- und Aushandlungsprozesse etabliert und stabilisiert werden. Eine zentrale Rolle dabei spielten die erwähnten Vermittlergruppen, die mithin einen zentralen Untersuchungsgegenstand des Projektes darstellen. Im Rahmen einer anhand beider Fallstudien unternommenen Analyse der Interaktionsprozesse zwischen den bereits ansässigen und neu zugewanderten Gesellschaftsgruppen sowie den neuen Herrschaftsträgern gilt es, Rückschlüsse über die möglichen Rollen, Motivationen und Verhaltensmuster dieser Vermittler sowie über sich etablierende Kommunikationsmechanismen unter ihrer Beteiligung zu ziehen.

Zu den Kernfragen der Untersuchung gehören: (I) Welche konkreten Momente der Interaktion zwischen den ansässigen sozialen, ethnischen, religiösen oder rechtlichen Gruppen und den neuen Herrschaftsträgern lassen sich nachweisen? (II) Wie vertreten diese Gruppen ihre Anliegen gegenüber der Institution des/der Herrschenden und ihren Stellvertretern? (III) Welche Rolle spielten Mediatoren(-gruppen) in den zugrundeliegenden Kommunikations-, Interaktions- und Aushandlungsprozessen? Welche Beweggründe könnten sie zur Partizipation motiviert haben? (IV) Welche Muster oder Mechanismen der Kommunikation bzw. Interaktion zwischen den beteiligten Parteien („Beherrschte“ – „Vermittler“ – „Herrscher“) entstehen und etablieren sich? (V) Perspektivwechsel: Welche Strategien wenden die Herrschenden und ihre Stellvertreter an, um die neue Herrschaft über und innerhalb der heterogenen Strukturen der unterschiedlichen Interessengruppen zu festigen?

Anhand dieser und anderer Fragen soll im Zuge des Habilitationsprojektes letztendlich eine vergleichende Untersuchung zu beiden Fallstudien erarbeitet werden, deren Ergebnisse die Forschungsdiskussion zu Kommunikations- und Interaktionsdynamiken in den multireligiös und multikulturell geprägten Gesellschaften des Euromediterraneums um einige neue Perspektiven erweitern können.

Lateinisch und Arabisch

Projekt von Prof. Dr. Daniel G. König

Sozialgeschichten sprachlicher Verflechtung

Im Euromediterraneum haben Latein und Arabisch jahrhundertelang eine dominante Rolle als Sprachen der Administration, der Intellektualität und der Religion gespielt. In diesen Funktionen werden sie häufig als kulturelle Marker des christlichen Europa und der (mediterranean) islamischen Welt wahrgenommen.

Beide Sprachsysteme kamen erstmals im römischen Nahen Osten miteinander in Berührung, wo es allerdings nur zu einer limitierten Anzahl von Verflechtungsformen kam. Die arabisch-islamische Expansion in den sprachlich vom Lateinischen und seinen romanischen Derivaten geprägten westlichen Mittelmeerraum ließ das Repertoire lateinisch-arabischer Verflechtungsformen dann signifikant wachsen. Ab der Frühen Neuzeit zogen sich Formen der lateinisch-arabischen Verflechtung allerdings zunehmend in die akademische Sphäre zurück, während es zu zahlreichen Spielarten romanisch-arabischer Verflechtungen kam, darunter zu einem als lingua franca bekannten mediterranen pidgin. Seitdem das Lateinische von den europäischen Vernakularsprachen ersetzt worden ist, hat das Lateinische – anders als das Arabische – aufgehört, bestimmte Funktionen einer „Weltsprache“ zu erfüllen. Daher existieren lateinisch-arabische Verflechtungen heute nur noch in hochspezialisierten akademischen Milieus.

Phänomene lateinisch-arabischer Verflechtung gibt es in verschiedenen Formen. Diese reichen von der sprachlichen Analyse (Kommentare zur jeweils anderen Sprache) über Regulierungsversuche (Sprachpolitik), Transformationen und Appropriationen (mündliche und schriftliche Übersetzungen, bilinguale Wortlisten, Glossare, Entlehnungen, Lehnübersetzungen) bis hin zu graphischen, literarischen oder sogar systemischen Formen der Hybridität. Die Rekonstruktion der jeweiligen nichtsprachlichen (sozialen, politischen, wirtschaftlichen) Bedingungen, die zur Entstehung einer spezifischen Verflechtungsform beitragen, erlaubt Einblicke in hochkomplexe soziokulturelle Konstellationen, die kaum durch religiöse oder kulturalistische Dichotomien, z. B. zwischen „Christen“ und „Muslimen“ oder „dem Islam“ und „dem Westen“ erklärt werden können.

siehe dazu: Daniel G. König (ed.), Latin and Arabic. Entangled Histories (Heidelberg: HeiUP, 2019), Open access, DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.448 .

Interessenten an diesem Themenfeld finden weitere interessante Informationen auf den Homepages des Centre for the History of Arabic Studies in Europe (Warburg Institut, London); des Digital Averroes Research Environment (Thomas-Institut, Köln), der Forschungsstelle Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte der griechisch-arabisch-lateinischen Tradition (Abteilung für Philosophie, Uni Würzburg) und des Projektes Ptolemaeus Arabus et Latinus (Bayerische Akademie der Wissenschaften).

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Legal Cultures in the Medieval Mediterranean

Habilitationsprojekt: Dr. des. Theresa Jäckh

Legal Cultures in the Medieval Mediterranean: Communication and Decision Making amongst Multireligious Societies

My second book project seeks to investigate how groups and individuals in the multireligious societies of the medieval Mediterranean navigated between different legal arenas to seek advice or receive justice. More specifically, it will focus on how religious minorities (Jews and Christians in Islamic territories, and Muslims and Jews living under Christian rule), communicated and manoeuvred legal concerns outside their own religious-legal boundaries. To investigate such dynamic legal cultures, my study will draw on a diverse corpus of Arabic, Hebrew and Latin sources. Amongst these, it will particularly engage with a vast body of legal opinions. This corpus provides a macro-historical frame from which Islamic, Jewish and Christian/Roman legal conflicts and their ‘ideal’ rulings can be explored and examined in comparative perspectives. These findings will be contrasted with regional case studies which will consider the legal arena of the ruler’s court or notary offices and analyse these forums and their acts by reference to the prevailing legal system (Islamic vs Latin-Christian rule). As such, my book will not only seek to bridge a complex field of often-disconnected research disciplines and traditions, but also offer new findings on the Mediterranean’s multicultural and religious societies from a bottom up-perspective.

Literarische Verhandlungsorte kultureller Hybridität

Literarische Verhandlungsorte kultureller Hybridität. Eine digitale Untersuchung intertextueller Verweise beim Kirchenlehrer Hieronymus
(DFG-Projekt, Leitung: Barbara Feichtinger, Laufzeit 2017-20)

Quid facit . . . cum evangeliis Maro? (Hier. ep. 22,29,7). Indem Hieronymus (um 347-420) unter Modifizierung eines Tertullian-Zitats auf Vergil und die Evangelien verweist, spannt er rhetorisch versiert klassisch-pagane und christliche Literatur wie Kultur in einer Frage zusammen. Diese literarisch motivierte Konstitution kultureller Hybridität begleitet den Asketen, Bibelübersetzer und Exegeten Hieronymus - ein Grenzgänger und Vermittler zwischen den unterschiedlichen Kulturräumen des griechischen, schon stärker christlich-asketisch geprägten Ostens und des lateinischen, noch stärker im Heidentum verhafteten Westens - in seinem gesamten Wirken. Hieronymus` Fokussierung auf Literatur und deren Lektüre als Identitätskonstituens spätantiken Christseins legt nahe, Intertextualitätsphänomene selbst als zentrale Verhandlungsorte kultureller Standortbestimmungen in seinen Werken neu in den Blick zu nehmen. Die Untersuchung betrachtet daher intertextuelle Verweise als Markierungen der (literarischen) Verarbeitung kultureller Transformation und Hybridisierung durch Christianisierung. Ausgehend von Hieronymus` Briefen werden intertextuelle Referenzen klassisch-paganer, christlicher und biblischer Provenienz in ihrer Beschaffenheit und dem Modus ihrer narrativen Einbettung untersucht. Wie flicht Hieronymus Zitate und Anspielung in seine (autobiographisch gefärbten) Texte ein? Lassen sich differente Muster der Markierung, Ponderierung und Wertigkeitszuschreibungen hinsichtlich der Quelltexte und der mit ihnen verbundenen Kulturräume im Rahmen einer narrativen Strategie ausmachen? Kann das Phänomen der Intertextualität als literarisches Instrument der Autorisierung und Legitimierung des eigenen Schreibens oder als Strategie kultureller Abgrenzung und Distanzierung aufgefasst werden? Inwieweit spielen intertextuelle Verweise bei der hieronymianischen Konzeption christlicher Autorenschaft eine Rolle? Zur Auffindung intertextueller Verweise werden zunächst angepasste digitale Methoden der Textanalyse eingesetzt, die auf die lateinische Sprache und ihre sehr reiche Flexion ausgerichtet sind. Durch die computergestützte Analyse sehr umfangreichen Textmaterials können so in vergleichsweise kurzer Zeit und dabei sehr systematisch wörtliche Übereinstimmungen wie auch semantische Ähnlichkeiten einzelner Textpassagen des Hieronymus mit klassisch-paganen wie christlichen Texten ermittelt werden. Die so erlangten Ergebnisse bedürfen aufgrund ihrer riesigen Menge spezifischer Visualisierungsstrategien. Das anschließende close reading intertextueller Referenzen ist kontrastiv angelegt und kulturwissenschaftlich ponderiert. Im Vergleich solch divergenter Verfahren von Intertextualitätsanalyse soll auch deren Einzel- wie Kombinationspotential ausgelotet und bewertet werden. Die Ergebnisse dieser kritischen Methodenreflexion werden als Beiträge zur altertumswissenschaftlichen Methodendiskussion ebenfalls veröffentlich

Mediterrane Verflechtungen

Forschungsprojekt Prof. Dr. Manuel Borutta

Die monographische Studie untersucht mediterrane Verflechtungen Frankreichs zwischen der Kolonisierung und Dekolonisierung Algeriens. Im Zentrum steht der französische Süden, der Midi, der im 19. Jahrhundert als statisch galt, obwohl er die Kolonisierung Algeriens maßgeblich vorantrieb und durch diesen Vorgang selbst grundlegend verändert wurde. Infolge kolonialer Interaktionen mit Algerien wurden Frankreichs mediterrane Hafenstädte, Regionen und Inseln zu dynamischen Schnittstellen des Kolonialreichs. Sie rückten vom Rand der Nation ins Zentrum des Imperiums, um nach der Dekolonisation erneut marginalisiert zu werden. Am Beispiel der Hafenstadt Marseille, des ländlichen Languedoc und der Insel Korsika zeigt die Arbeit so, dass die modernen Prozesse der Nations-, Regions- und Imperiumsbildung in Südeuropa und Nordafrika derart eng miteinander zusammenhingen, dass sie nicht getrennt voneinander betrachtet werden können.

Modernes Mittelmeer: Dynamiken einer Weltregion 1800│2000

Modernes Mittelmeer: Dynamiken einer Weltregion 1800│2000
(DFG-Netzwerk, Leitung: Manuel Borutta, Laufzeit 02/2018-01/2024)
siehe Projekt-Website

The Making of Illegality

Postdoc Project: Dr. des. Andreas Guidi

Recent media coverage of the Mediterranean emphasizes disputes about the boundaries between legality and illegality in terms of human mobility, state intervention, and circulation of commodities. Reports about human trafficking, arms trade violating treaties and embargos, circuits of drug smuggling operated by organized criminals have become part of our perception of the maritime region. To discuss the modern history of the Mediterranean, its nomos is just as important as the flipside, an antinomos through which territoriality and extra-territoriality are negotiated through illicit and illegal practices.

Whereas the concepts and terms used in discussing illegality in the Mediterranean have largely been produced by the social sciences, a longue durée historical perspective on the making of illegality using the Mediterranean as a spatial unit is missing. My post-doc project aims at filling this gap by retracing the geography, the human figurations, and the juridical framework that shaped illicit and illegal economies in this region. Throughout the period analyzed, a mix of private and state actors, sailors and laborers, captains and diplomats, traders and brokers were involved in these economies, although the balance of power between them oscillated according to the context.

This project thinks large in time and space. I aim at analyzing moving boundaries between legality and illegality from the Napoleonic wars to the early 21st century and to create an inclusive narrative on the whole Mediterranean. This ambitious choice is pondered upon the  connectivity throughout the region, which made and unmade illegal practices, and it builds upon existing historiographic literature which has provided excellent, yet often small-scale or short time-analysis.

Leaning on a multilingual repertoire of archival sources, I will thus study maritime borderlands between nowadays Spain, Morocco, and Algeria, Italy, Malta, Tunisia and Libya, Albania, Montenegro, Greece and Italy, as well as Turkey, Cyprus, Syria and Lebanon are the most salient portions of the Mediterranean where local economies have been intersecting international flow of resources at the threshold of illegality. In terms of temporality, an overarching narrative covering the 19th and 20th centuries relies on the palimpsestic feature of these economies. Rather than linear developments and archival continuities, longstanding trade networks and routes can become idle and reappear at the liminal space between according to the contingent situation, which results in a fragmented landscape of documentary records on the phenomenon of illegality.

In particular, my project aims to discuss how illicit and illegal economies of the borderlands evolved from informal and decentralized practices to organized networks and accumulation of capital, how war and peace impacted the geographies and the figurations of smuggling, and how juridical notions interacted with state interventions targeting actors on the ground.

Transmediterranean History. Commented Anthology of Primary Sources

Transmediterranean History. Commented Anthology of Primary Source
Daniel G. König, Theresa Jäckh, Eric Böhme (Hrsg.), Laufzeit 2019-fortlaufend

Transmediterrane Geschichte ist ein dreisprachiges Journal (Deutsch, Englisch, Arabisch), das  kommentierte Quellenexzerpte zu transmediterranen Themen aus der Periode zwischen 600 und 1650 in Originalsprache und Übersetzung zur Verfügung stellt. Open access, DOI: https://ojs.ub.uni-konstanz.de/transmed/index.php/tmh/index .

Youth between Empires

completed Ph.D. project:  Dr. des. Andreas Guidi

My doctoral research discussed a change in sovereignty observable in Rhodes in the first half of the 20th century. I investigated how Italy’s rule – first as a military occupation (1912-1923) and then as a civil administration of a Possedimento (1923-1945) – transformed a former Ottoman Mediterranean province by asking how the socialization of the local population changed in this period.

I argued for connecting the historiographies of the Ottoman Empire with that of Italian colonialism by stressing the legacy of a dynamic Ottoman province as a challenge, but also a resource, for Italian rule.  I inserted political institutions in flux in broader domains of socialization. These included the family, education, work and leisure, mobility, and political activism, each discussed in a separate chapter but connected to each other.

The focus on generational dynamics is useful to embed individual actors in their family socialization and to analyze the circulation of resources within the family. Furthermore, generational bonds were negotiated and thematized outside the domestic sphere: a new concept of education stressed the demarcation between parents and children, normative stances on productivity and idleness stigmatized youth behavior, the socialization of mobile people revolved autonomy from distant relatives and new bonds with peers at the destination setting, political activism increasingly attracted youth, which became a target for diverse ideologies.

My research addresses the transformation of the society in Rhodes through the interactions between families, communal institutions, and government authorities while discussing the balance of power holding them together. These interactions help bypass a dichotomy separating narratives “from above” and “from below”, and allow to highlight the confessional diversity of Rhodes (Orthodox, Muslims, Jews, Catholics). I discussed community structures, citizenship regimes, and – especially in the 1930s – race as categories of power affecting the whole population beyond confessional boundaries, through similar challenges but also different responses. The use of archival sources in Italian, Ottoman Turkish, Greek, Ladino, and French is therefore not only a methodological advantage point, but the very prerogative of this endeavor.

Managing a post-Ottoman setting implied three challenges for Italian rule. Firstly, preserving and reinforcing politics of difference based on confession by domesticating communal institutions. Secondly, severing the bonds between Rhodes and a foreign Mediterranean context itself undergoing profound changes after World War One. Lastly, increasing the interference on the everyday socialization of the local population of all confessions through the colonial police. These challenges were often translated in generational terms. Authorities propagated the idea of a “new generation” of loyal Italian colonial subjects, communities denounced generational discontinuity as a danger for their coherence, families struggled in managing generational bonds through a widespread scarcity of resources in a socio-political world in flux.

The research also led me to some conceptual theses on generations and youth in settings marked by rapid political and social transformations. For government, communities, and families in Rhodes, “generations” and “youth” were situational, correlative, and projective notions. The collectivity they targeted could vary depending on the contingency of the situation; they were always related to values and norms, sometimes to praise and sometimes to stigmatize behaviors; they legitimized present actions by projecting them in normative ideas of the past and the future, either as a rupture or as a continuity.

Mediterrane Entflechtung: Die südliche Adria im Zeitalter der europäischen Territorialisierung, 1718-1856

Forschungsprojekt von Jovo Miladinović